Tag der seltenen Erkrankungen

Heute (28.Februar 2022) ist der Tag der seltenen Erkrankungen.  Erkrankungen gelten offiziell als „selten“, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Erste Anlaufstellen für diese Patient*innen sind natürlich die hausärztliche Praxis und das Krankenhaus vor Ort – auch das St. Marien-Hospital in Hamm. Hier trifft man in verschiedenen Bereichen auf Menschen mit zunächst unklaren Symptomen:  „Wir behandeln hier sehr viele Krankheitsbilder, die im landläufigen Sinne selten sind“, sagt Chefarzt Dr. Berthold Piotrowski, der die Klinik für Nuklearmedizin leitet. Bei Verdacht auf eine seltene Erkrankung im Sinne der Definition stellt Dr. Piotrowski den Kontakt zur Uni-Klinik in Köln her: „Dort gibt es diagnostische Tools in Labor und Bildgebung, über die nur besonders spezialisierte Kliniken verfügen.“  

In der Neurologie des St. Marien-Hospitals sieht der Chefarzt Prof. Marcus Müller auch seltene entzündliche Autoimmunerkrankungen wie Vasculitiden, die Gefäßschädigungen verursachen, oder die Neuromyelitis optica (NMOSD/ Devic Syndrom) mit 1-3 Fällen pro 100.000 Einwohner, eine entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die zu Erblindung und Querschnittslähmung führen kann. In der Kardiologie des St. Marien-Hospitals hat sich Chefarzt Prof. Klaus Pethig auf die Behandlung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern eingestellt: „Hier ist eigentlich jede Fehlbildung ganz individuell, insbesondere dann, wenn nur wenige Patientinnen und Patienten mit ähnlichen Herzfehlern überhaupt das Erwachsenenalter erreichen“, erläutert Prof. Pethig. Und solche Patienten gibt es natürlich auch in Hamm: „Für spezielle Diagnostik und Therapie haben wir Kontakte zu entsprechenden Zentren, meist an Unikliniken“, sagt Prof. Pethig. „Doch die Weiterbehandlung erfolgt oft hier vor Ort, wo die Menschen leben und arbeiten.“  

Wenn die Diagnose feststeht, können wir hier vor Ort weiterbehandeln

Die Diagnose von definitionsgemäß seltenen Erkrankungen dauert meist lange: „Man hat die Möglichkeit immer im Kopf, geht aber natürlich zunächst die häufigeren und damit wahrscheinlicheren Krankheitsbilder durch, zu denen die Symptome passen“, so Prof. Pethig. Für die Kardiologie setzt er daher eine Spanne für die Diagnosefindung von einem Tag bis hin zu 30 Jahre: „…nämlich dann, wenn die Fehlbildung des Herzens erst im Erwachsenenalter auffällt.“ In der Nuklearmedizin ist die Diagnosestellung zudem aufwendig und kann bis zu einem Jahr dauern: „Die Analyse von endokrinologischen Störungen, die Hormone und Stoffwechsel betreffen, erfordern auch genetische Tests und ein Familienscreening sowie die Langzeitmessung von Hormonwerten – das kann ein ganzes Jahr dauern, bis dann eine Krankheit sicher diagnostiziert werden kann, die bei einem von 100.000 Menschen auftritt“, erläutert Dr. Piotrowski. „Der Weg des Patienten kann sich jahrelang hinziehen, was für die Betroffenen eine große Belastung darstellt“, so Prof. Müller. “Es besteht immer die Gefahr, durch späte Diagnose erst zu spät mit der Behandlung zu beginnen, was bei degenerativen Erkrankungen fatal sein kann.“     

Für die Patientinnen und Patienten ist ihr ungewisser Gesundheitszustand eine große Belastung. „Schon die Diagnose an sich ist eine große Erleichterung für viele Patienten“, sagt Prof. Müller. „Wir haben bereits Behandlungsmöglichkeiten, die die Symptome lindern, bevor die endgültige Diagnose feststeht – und auch das ist eine große Hilfe“, ergänzt Dr. Piotrowski. „Wichtig sind die Aufklärung der Patienten und die Prognose – beides steht im Vordergrund, und beides macht das Leben der Patienten wieder einigermaßen planbar“, so Prof. Müller und führt weiter aus: „Einige entzündliche Autoimmunerkrankungen sind sehr gut therapierbar, bei anderen neurodegenerativen Krankheitsbildern ist noch keine ausreichende Therapie gefunden – aber die Medizin macht Fortschritte.“ Prof. Pethig setzt darauf, dass die molekulare Medizin weitere Behandlungswege finden wird: „Wichtig ist es auch zu wissen, dass allen Patienten auch aufwendige und teure Therapien zur Verfügung stehen.“

Steht die Diagnose erst mal fest, müssen die Patienten ihr Leben darauf einstellen: „Neben gezielter psychologischer Unterstützung sind Selbsthilfegruppen ein probates Mittel, Erkrankten in der Bewältigung ihres Alltags zu helfen – wenn natürlich der nächste Mensch mit einem vergleichbaren Krankheitsbild in Neuseeland lebt, wird es schwierig“, sagt Dr. Piotrowski. „Wir vermitteln aber Kontakte zu Gruppen, die ähnliche Symptome aufweisen, also etwa zur Patientenorganisation für degenerative Muskelerkrankungen“, ergänzt Prof. Müller. „Denn für die häufigeren der seltenen Erkrankungen gibt es durchaus Selbsthilfegruppen“, sagt Prof. Pethig. Und für Dr. Piotrowski ist klar: „Wenn durch gelungene Diagnose die Therapie greift, ist es den Patienten egal, wie selten die Erkrankung statistisch ist – jede und jeder ist im Umgang mit Krankheit einzigartig.“

Zurück