Alpakas helfen Suchterkrankten

Mit Alpakas durch die Börde

Die Tür des Kleinbusses öffnet sich und eine Gruppe von Männern und Frauen strömt fröhlich in die kühle Morgenluft der Soester Bördelandschaft. So stellt man es sich nicht vor, wenn man gerade in einer psychiatrischen Klinik einen stationären Entzug macht. Die Patientinnen und Patienten mit zum Teil mehreren so genannten „stoffgebundenen“ Abhängigkeiten wie Alkohol und Rauschgiften nehmen heute an einer besonderen Therapie teil: Sie wandern mit Alpakas.

Einzigartiges Angebot

„Tiergestützte Therapie ist in einzelnen Reha-Kliniken ein eingeführtes Mittel, für eine Akutklinik wie unsere ist sie nach meiner Kenntnis einzigartig“, sagt Dr. Stefan Romberg, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am St. Marien Hospital Hamm. „Alpakas als Therapietiere haben mit ihrer ruhigen, unaufdringlichen Art und ihren lustigen Frisuren direkt einen Sympathiebonus. Anders als etwa bei Hunden hat keiner schlechte Vorerfahrungen mit Alpakas und niemand hat Angst vor ihnen.“ Schon schauen die ersten Tiere über die Hecke des „Sternschnuppenhofs“ in Welver auf die Gruppe. Es wird gelacht.

Echtes Glück statt Rausch

„Wenn man Suchterkrankten das Suchtmittel nimmt, entsteht eine sehr große Lücke“, erläutert Dr. Romberg. Soll der Entzug Erfolg haben, muss die Lücke gefüllt werden. Positive Erfahrungen, Achtsamkeit, sinnvolle Beschäftigung und kleine Erfolgserlebnisse sind geeignet, anstelle des zerstörerischen Rausches glückliche Gefühle auszulösen. Die Teilnehmer der Therapie haben zum Teil jahrzehntelang Drogen in den Mittelpunkt ihres Lebens gestellt. Sie haben wirklich große Lücken zu füllen, wenn die körperliche Abhängigkeit überwunden ist.

Der Sternschnuppenhof wird von einem Ehepaar mit sozialpädagogischem Background geführt. „Hinter diesem Tor betretet ihr eine andere Welt“, sagt Hofherr Martin. Tatsächlich strahlt schon der uralte Gebäudebestand mit vielen Details und wenig harten Kanten etwas Märchenhaftes aus. Ein roter Kater und ein paar Hühner begrüßen die Gäste, 50 Tiere in 11 Arten leben hier. Martin führt sehr ausführlich in das Leben der Alpakas ein – wo sie herkommen, was sie fressen, wie ihr Sozialverhalten ist. Die auf dem Hof versammelten Tiere haben zum Teil schwierige Lebensgeschichten – die Gruppe hört aufmerksam zu und fühlt mit. „Tiere leiden oft still“, sagt Martin. Einige nicken.

„Viele unserer Patienten haben ein Problem, das richtige Verhältnis von Nähe und Abgrenzung zu finden“, sagt Dr. Romberg. Die eher distanzierten Alpakas sind da ideal: Nie würden sie die Menschen bedrängen oder angreifen. Umgekehrt möchten sie respektiert und nicht einfach ungefragt angefasst werden. Martin erläutert genau, mit welchen Gesten und Geräuschen Alpakas ankündigen, dass sie sich ärgern. Werden die Warnungen ignoriert, spucken sie, was immer sie in ihrem Magen-und Rachenraum zur Verfügung haben. „Sie zielen auf die Augen, und sie treffen!“ Die Gruppe ist beeindruckt. Da sie aber die Warnungen verstehen würden, ist keiner in Gefahr, diese Erfahrung zu machen. Wer noch nicht direkt das Tier berühren möchte, kann erstmal ihre Wolle anfassen, die Martin in einem Beutel gesammelt hat. „Alpakas sind Nutztiere“, erläutert er. In der Natur gibt es nichts umsonst.

Entspannung ist wichtig

Jetzt geht es ans Verteilen der Tiere. „Heinz“ ist ein weißer Hengst, der Chef der Gruppe. „Bilbo“, das ist eher ein Träumer. „Chubaka“ ist ein Wächter, aber in der Rangordnung der Letzte. „Emil“ und „Casper“ laufen gerne vorneweg. „Frodo“ ist der Jüngste, man kann ihn leicht führen.  Jeder darf sich ein Tier aussuchen, die Herkunft der Namen wird in der Gruppe besprochen, schnell hat jede und jeder ein passendes Tier. Während Martin die Halfter anlegt, lässt er noch einfließen, dass die Tiere ganz entspannt sind, wenn die Menschen am anderen Ende der Leine es auch sind.  „Wir hatte hier mal Influencer, die wollten immer nur Fotos machen“, erzählt Martin. Der Erfolgsdruck für das ideale Bild hat die Tiere nervös gemacht. „Wenn sie sich hinlegen, geht nichts mehr.“

Der Spaziergang beginnt. Schnell ist klar: Kein Problem, das klappt, die Tiere kommen brav mit. Es geht über Feldwege durch ein Naturschutzgebiet. Von Zeit zu Zeit gibt es Rast an Klee- oder Brennnesselfeldern. „Dürfen sie die Brennesseln fressen?“ sorgt sich ein Patient. Jeder schaut auf sein Tier, wohin es tritt, was es fressen möchte, wohin die Ohren sich beim Lauschen drehen. „Ist das Unterwürfigkeit? Er dreht die Ohren so nach hinten, das ist doch vielleicht Angst, oder?“ fragt eine Patientin. „Nein, er lauscht nur nach hinten“, sagt Martin, und die Frau ist beruhigt. Sie hat drei Jahrzehnte Drogenerfahrung, schnupfte und rauchte Heroin, kennt Morphium, halluzigene Drogen und natürlich Alkohol. Zum Teil enge Freunde sind gestorben, ihr Partner sogar in der Öffentlichkeit, vor dem Bahnhof. Sie selbst habe in ihren 20ern ein Informatikstudium begonnen, lange habe ihre Familie gar nichts von ihrem Drogenkonsum gewusst. Bedenkt man all diese Erfahrungen, sei sie noch ziemlich gesund. Es macht also Sinn, von den Drogen abzulassen. Während des Spaziergangs fotografiert sie die Tiere und tauscht Sprachnachrichten mit Freunden aus. „Sie sagen, Alpaka steht mir gut!“ lacht sie.

Die Runde endet an der Alpakaweide. Zwischendurch hat es geregnet, aber das hat nicht gestört. Alle sind entspannt. Dr. Romberg muss auf die Zeit hinweisen, in der Klinik wartet das Mittagessen. Die Gruppe ist komplett entschleunigt, bedankt sich bei Martin, man schlendert zum Bus zurück. Dieser Vormittag ist gut bewältigt worden, es sind die kleinen Schritte, die zählen. Vor manchem liegt noch ein ganzer Berg.

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